Die Welt, wie sie hier einmal war

Die Welt, wie sie hier frueher einmal war. Dieser Gedanke geht mir immer wieder durch den Kopf, waehrend wir per Rad und zu Fuss den Yellowstone und Grand Teton Nationalpark erkunden. Im offenen Grasland weiden Bisonherden, wir beobachten Pronghornantilopen, Wapitis und Maultierhirsche, sehen Adler, Dachse und Woelfe. Weit und breit gibt es ausser der Strasse, auf der wir fahren, Praerie und Wald soweit das Auge reicht.  Besonders die Bueffel hier haben es mir angetan. Die bis zu vier Meter langen und bis zu einer Tonne schweren Tiere bekommen gerade Winterfell, als wir im Yellowstone sind. Allein die Koepfe dieser Tiere sind so gross und wuchtig, dass man meint, sie koennten damit Hauswaende einrennen. Ich bin fasziniert von der Kraft und Ruhe dieser Tiere.

Waehrend einer Wanderung haben wir ein eindrueckliches Erlebnis. Wir rasten gerade im Wald an einem Fluss, als ploetzlich ein ausgewachsener Bueffelbulle auftaucht. Er kommt uns so nah, dass Monika sich Hanna schnappt und mit ihr im Wald verschwindet. Ich bleibe wie gebannt stehen und der Bueffel schaut mich mit seinen grossen schwarzen Augen an. Ich wage kaum, mich zu ruehren und kann sein Atmen hoeren. Ein tiefes Brummen kommt dabei aus seinen Nuestern. Ich gehe langsam rueckwaerts, um den Bullen nicht nervoes zu machen. Der kratzt sich daraufhin seinen Kopf an einem Baum, wobei Holzspaene des Baums durch die Gegend fliegen wie in einer Tischlerei. Dann geht das Tier zum Fluss und durchquert diesen. Auf der anderen Flussseite suhlt es sich genuesslich in der Erde und verschwindet im Wald. Erst als das Tier auf dem Weg in den Fluss ist, wage ich es, die Kamera zu nehmen und Fotos zu machen.

Erlebnisse wie diese vergisst man wohl nie. So kraeftig und robust, wie die Bisons sind, hatten sie Jahrtausende lang in Millionenzahl die Praerien Nordamerikas durchstreift.  Dann wurden sie zu Ende des 19. Jahrhunderts innerhalb von wenigen Jahrzehnten nahezu ausgerottet. Grund waren weisse Jaeger, die mit den Bueffelfellen viel Geld verdienen konnten. Die Ausrottung wurde damals sogar von der US-Kavallerie unterstuetzt, um die letzten Indianerverbaende, die sich weigerten auf die Reservate zu ziehen, ihrer Lebensgrundlage zu berauben und sie in die Abhaengigkeit US-staatlicher Lebensmittelrationen auf Reservatsgebiet zu zwingen. Zudem sah man in den Bueffeln damals Fortschrittsbremsen, weil diese immer wieder zu massiven Zugverspaetungen fuehrten, da immer  wieder Herden die Gleise blockierten. Am Ende dieser gnadenlosen Jagd waren nur noch weniger als 30 Tiere am Leben, auf dem Gebiet des heutigen Yellowstone Nationalparks. So tragisch, wie diese Geschichte ist, zumindest gibt es heute im Yellowstone Nationalpark  wieder ein paar Tausend dieser Tiere.

Doch nicht nur die Bueffel haben es uns angetan. Es ist gerade Brunftzeit und direkt an unserem Zeltplatz weiden Wapitihirsche mit einem Hirschbullen. Wir bestaunen das riesige Geweih des Tieres. Die vielen Geysire, die hier ihr Wasser in den Himmel spucken, erninnern uns daran, dass heisses Magma nur wenige Kilometer unter unseren Fuessen existiert. Neben den Geysiren bestaunen wir Schlammvulkane, Fumarolen und  heisse Quellen. In einer dieser heissen Quellen baden wir sogar, an einer Stelle, wo sie sich mit kaltem Flusswasser vermischt. An einer anderen heissen Quelle fuellen wir uns Wasser in der Thermoskanne ab, um Hannas Essen spaeter damit aufzuwaermen. Wie fuehlen uns hier ein wenig wie in einem Maerchenland. Wir bestaunen Calciumcarbonatterassen, die durch heisse Quellen gebildet wurden, die aufgrund von hier lebenden Mikroorganismen in den verschiedensten Farben schillern.

Spaeter fahren wir in den Grand Teton Nationalpark weiter, wo eine schroffe Bergkulisse vor malerischen Bergseen in den Himmel ragt. Direkt vor unserem Zelt grast des Morgens ein maennlicher Maultierhiersch, der keinerlei Scheu vor uns zeigt. Spaeter gehen wir auf eine Wanderung, kommen abends wieder und sehen den gleichen Hirsch, der jetzt wie ein Wachhund vor unserem Zelt sitzt. Unweit davon macht sich gerade ein Rotfuchs ueber die von uns hinterlassenen Essenskruemel her. Mit einem Lachen stellen wir fest, dass eine friedliche Koexistenz von Mensch und Tier vielleicht doch moeglich ist.

Am naechsten Morgen krieche ich noch vor Sonnenaufgang aus dem Zelt und gehe auf Elchpirsch. Das Thermometer zeigt garstige minus sechs Grad, denn nachts ist es hier mittlerweile recht kalt. Ich hatte am Vortag gehoert, dass es hier am See Elche geben soll, die man am besten in der Frueh beobachten kann. Also mache ich mich auf den Weg, mehr laufend als gehend, nur mit der Kamera im Rucksack. Suche unterwegs nach Kot, der von Elchen sein koennte und finde ausgetretene Wildwechsel. In mir kommt so etwas wie Jagdfieber hoch, obwohl ich von den zeitgenoessischen Vergnuegungsjagden mit HighTech-Waffen eigentlich nicht allzu viel halte. Und dann knackt und kracht es vor mir im Wald. Ein Elchbulle scheuert seinen Kopf im Unterholz und schreddert  mit seinen Geweihschaufeln alles an Holz, was ihm dabei in die Quere kommt. Ich befinde mich in dichtem Wald und ich sehe das Tier erst, als es sich zwanzig Meter vor mir durch die Baume schiebt. Der Bulle ist so gross und kraeftig, dass mir kurz der Atem stockt. Als er fertig damit ist, mit seinen Geweihschaufeln das Unterholz zu zerkleinern, stoesst er Laute aus, die wie ein Zwischending aus Ruelpsen und heiserem Grunzen klingen. Daraufhin bekommt er eine aehnlich klingende Antwort eines Artgenossen und rennt in Richtung der Antwort davon. Bevor er wieder im Wald verschwunden ist, schaffe ich es zum Glueck noch, ein Bild von dem Tier zu machen. Momente wie diese erlebt man wohl nur einmal im Leben.

Wir fahren auf unseren Raedern weiter, gen Sueden, entdecken noch zwei Schwarzbaeren, bevor wir den Nationalpark verlassen. Es ist inzwischen Herbst geworden, die Laubbaeume leuchten in allen Farben. Unser Zelt ist kaputt gegangen, der Eingang schliesst nicht mehr. Das Zelt war vor dieser Reise schon anderthalb Jahre mit mir in Europa und Asien  auf Reisen gewesen und jetzt haben die Reissverschluesse das Zeitliche gesegnet. Wir frieren nachts, wenn der kalte Wind durchs Zelt weht. In der naechsten Stadt wollen wir fuer Ersatz sorgen. Durch ein schoenes Tal am Snake River entlang  fahren wir nach Idaho Falls, wo wir uns fuer anderthalb Wochen in einem Haus einmieten, verschlissene Ausruestung ersetzen, Plaene fuer die naechsten Wochen machen und uns ueber unsere Tochter Hanna freuen, die vergnuegt das ganze Haus durchkrabbelt und auf unserem Bett herumtobt.